WILPF Schweiz
                              Women's International League for Peace and Freedom

1971-2021: 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz

Stellen Sie sich vor, morgen sind Wahlen und Sie dürfen nicht hin.
Nur weil Sie eine Frau sind.
Klingt unfair?

Noch vor knapp 50 Jahren war das die Realität für Frauen in der Schweiz.

Am 7. Februar 2021 jährt sich zum 50. Mal die Einführung des Frauenstimmrechts.

«Mann» glaubte, die Idee eines Frauenwahlrechts sei eine aus dem Ausland importierte, un-schweizerische Idee, die auch von der grossen Mehrheit der Schweizer Frauen abgelehnt werde, welche an einem Stimmrecht gar nicht interessiert seien, zumal jede Frau ihre Meinung indirekt über ihren Mann zum Ausdruck bringen könne. Ganz sind solche Gedanken nicht verschwunden, auch nicht die Meinung, eine etwaige Einbeziehung der Frauen in politische Entscheidungen werde unweigerlich zum Verlust ihrer Weiblichkeit führen…
Grund genug, wachsam zu bleiben: In der Geschichte der Frauenbewegung – wie in der Sozialgeschichte insgesamt – musste jede Errungenschaft hart erkämpft werden. Und schaut frau um sich, dann müssen wir uns weiter für Frauenrechte einsetzen, denn nur schon der Grundsatz «gleicher Lohn für gleiche Arbeit» ist nicht vollumfänglich umgesetzt.

Doch Errungenschaften zu feiern ist ebenso wichtig wie das Engagement – deshalb stossen wir (virtuell) auf alle Pionierinnen für das Frauenstimmrecht an, und gedenken ihrer in grosser Dankbarkeit, denn ohne ihren Einsatz hätten die Schweizerinnen bestimmt noch länger warten müssen, bis sie wie die Frauen in (fast) allen europäischen Ländern ihre vollen Bürgerinnen-Rechte ausüben konnten.

„Ohne die Emanzipation der Frauen ist der Begriff der Demokratie nur Heuchelei und Lüge.“
Emilie Gourd (1879-1946)

Koordinationsstelle für das Jubiläum 2021: https://ch2021.ch
Empfehlenswert ist der neue Film über eine WILPF-Frau: «Die Pionierin» von Fabian Chiquet; die Geschichte der Wissenschaftlerin, Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Gertrud Woker kommt im September ins Kino; WILPF-Schweiz ist Mitveranstalterin von Filmgesprächen.


Gertrud Woker setzte sich als eine der ersten Professorinnen Europas für Frauenrechte und Frieden ein. Bild zVg



1971-2021: 50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz

Eigene Stimme und politische Gleichberechtigung:
Erst am 7. Februar 1971 stimmten die Schweizer Männer an den Urnen der Verfassungsänderung zu, dass künftig alle Schweizer*innen die gleichen politischen Rechte wie sie haben (65,7 % Ja zu 34,2% Nein). Auf kantonaler Ebene hatte am 1. Februar 1959 der Kanton Waadt als erster das Frauenstimmrecht angenommen, gefolgt von weiteren Kantonen (Zürich: 15.11.1970). Noch später als die Schweiz führte das Fürstentum Liechtenstein das Frauenstimm- und -wahlrecht ein, erst am 1. Juli 1984.

Als erstes Land Europas hatte Finnland 1906 das allgemeine Stimm- und -Wahlrecht für die Frauen eingeführt, international gesehen waren Australien (1902; ohne Aborigines) und Neuseeland (1893; Wahlrecht, nicht Stimmrecht) die Vorreiter.

1948 – 100 Jahre Bundesverfassung:
Noch 1948 feierte «die Schweiz, ein Volk von Brüdern und ohne Schwestern» das 100-jährige Bestehen der Bundesverfassung. Die Walliser Gemeinde Unterbäch war 1957 pionierhaft mutig, als sie die Frauen in der Gemeinde zur Volksabstimmung über den Zivilschutzdienst für alle Frauen zur Urne gehen liess. Hier steckten ein progressiver Gemeindepräsident und Grossrat sowie Nationalrat Peter von Roten dahinter. Seine Frau Iris von Roten schrieb als eine der ersten Pionierinnen offene Worte zur Stellung der Frau: Ihr wegweisendes Buch «Frauen im Laufgitter» erschien 1958. 1959 kam es zu einer ersten Volksabstimmung, bei der das Frauenstimmrecht deutlich am Volks- und Ständemehr scheiterte. In der Diskussion wurde u.a. die kategorische Auffassung vertreten, «der Staat selbst sei seinem Wesen nach eine männliche Institution, die von Frauen daher ihrer Natur gemäss nicht in der notwendigen Tiefe verstanden werden könne»!

Endlich ist die Zeit reif:
Es brauchte einen zweiten Anlauf, bis Volk und Stände das eidgenössische Frauenstimmrecht vor 50 Jahren annahmen. Allerdings ist es vor allem den mutigen und engagierten Schweizer Frauen (mit ein paar wenigen Männern) und ihrem jahrzehntelangen Kampf zu verdanken, dass das Thema immer wieder auf die politische Tagesordnung gebracht und alle Kräfte mobilisiert wurden, um die Mehrheit der Bevölkerung und der Stände zu überzeugen.

Auch die Männer mussten 123 Jahre warten:
Es war ja nicht so, dass die Männer seit dem Rütlischwur oder der neuzeitlichen Gründung der Eidgenossenschaft hätten wählen können. Vor 1798 herrschte in der Eidgenossenschaft entsprechend der verfassungsmässigen Vielfalt keine einheitliche Regelung des Stimm- und Wahlrechts. In allen Orten war aber ein grosser Teil der einheimischen Bevölkerung von diesen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen. Erst die Verfassung vom 12. April 1798 schuf die Voraussetzung für das allgemeine Wahlrecht der Männer; aber das «starke Geschlecht» musste harte Vorbedingungen erfüllen, die für die normal Sterblichen – sprich: die einfachen Bürger, Arbeiter und Angestellten – nicht zu erfüllen waren. Und noch immer boten die kantonalen Wahlordnungen ein höchst unterschiedliches Bild: Ganz allgemein musste «Mann» seine Steuern bezahlen, durfte nicht im Gefängnis sein, keine Schulden haben, sondern hatte über Bildung und ein bestimmtes Vermögen zu verfügen und war nur am Heimatort wahlberechtigt. «Armengenössige» und Zahlungsunfähige waren ausgeschlossen, und ohne die richtige Konfession und Erfüllung der Wehrpflicht ging gar nichts. Auch nach der Verfassung von 1874 gab es keine bundesrechtliche Regelung. Zugewanderte und vermögenslose Bevölkerungsschichten wurden von den politischen Rechten ferngehalten. Erst mit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 wurde der längst fällige Übergang zum allgemeinen Erwachsenenwahlrecht vollzogen.

Der steinige Weg zur absoluten Gleichstellung von Frau und Mann:
Mitleid mit den Männern muss frau keines haben. Denn es mussten nochmals 10 Jahre vergehen, bis 1981 die Gleichberechtigung in der Bundesverfassung festgeschrieben wurde. Erst seit 1988 werden Frauen und Männer beim Eherecht gleichgestellt; bis dahin war der Mann laut Gesetz das Familienoberhaupt und die Frau für den Haushalt zuständig. Und wir erinnern uns: Erst am 27. November 1990 fügte sich Appenzell Innerrhoden einem Bundesgerichtsentscheid und führte als letzter Kanton das Stimmrecht für Frauen auf kantonaler Ebene ein. 1992 wurde die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Schliesslich trat 1996 das Gleichstellungsgesetz in Kraft, das jede Diskriminierung von Frauen oder Männern im Bereich der unselbständigen Erwerbsarbeit verbietet.

In den Köpfen vieler Männer ist der alleinige Herrschaftsanspruch bei der Gestaltung der Gesellschaft noch immer vorhanden. Das sollte die junge Generation nicht vergessen, die in breiten Teilen vor allem der urbanen Bevölkerung das Gefühl hat, es stehe alles zum Besten mit Chancen- und Lohngleichheit, Gleichstellung und Selbstbestimmung der Frauen.

Verantwortliche Autorin: Helena Nyberg, WILPF Schweiz


Quellen:
Geschichte des Frauenstimmrechts / Koordinationsstelle für das Jubiläum 2021:
https://ch2021.ch
www.easyvote.ch
www.edi.admin.ch