WILPF Schweiz
                              Women's International League for Peace and Freedom

Frauenrechte in der Schweiz – Warum ein Frauenstreik 2019

Ein Blick in die Geschichte

Der Kampf für die Rechte der Frauen in der Schweiz hat eine lange und zähe Geschichte. Das Wahlrecht für Frauen auf nationaler Ebene wurde in der Schweiz erst 1971 (letztes europäisches Land!) eingeführt; die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches im Jahr 2002 und das Recht auf Mutterschutz nach der Geburt tatsächlich erst im Jahr 2005. Im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter wurde am 14. Juni 1981 ein Verfassungsartikel zur Gleichstellung von Männern und Frauen angenommen. Jedoch mussten Frauen 1990 feststellen, dass der 1981 eingeführte Gleichstellungsartikel nicht zu einer Aufhebung der Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen führte. Um dagegen etwas zu unternehmen, lancierten sie einen schweizweiten Frauenstreik.

Frauenstreik 14. Juni 1991

Die Idee wurde am Kongress des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) im Oktober 1990 bestätigt. Überall begannen Frauen darüber zu reden und organisierten sich. Es gab etwa fünfzig Streikkomitees und am 14. Juni 1991 demonstrierten 500‘000 Frauen in Krankenhäusern, Schulen, in den Medien, im Einzelhandel, in der Druckerei oder Chemie, aber vor allem in Arbeiter*innenvierteln, Städten und Dörfern, bei Kundgebungen und Picknicks. Damit haben sie die ganze kostenlose Arbeit sichtbar gemacht, die sie jeden Tag leisten.

Mit dem Frauenstreik vom 14. Juni 1991 wurde eine Gesetzgebung zur Umsetzung des Verfassungsartikels gefordert. Die Forderungen der Frauen betrafen die bezahlte Arbeit (Recht auf Arbeit, Lohngleichheit, AHV-Rente) und die soziale Reproduktionsarbeit (Aufteilung von Haushalts- und Bildungsaufgaben, Eröffnung von Kindertagesstätten, Mutterschaftsversicherung). Sie sprachen sich gegen Vergewaltigung und Gewalt, für das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Reproduktionsrechte (Recht auf Abtreibung und Verhütung) und gegen männlich geprägte Modelle im Bereich von Wissen und Politik etc. aus. Im ganzen Land organisierten sich Frauen, um die für sie unerträglichsten Aspekte anzuprangern und zu zeigen, dass sie existieren.

Als Folge des Frauenstreiks trat 1996 ein Gesetz über die Gleichstellung von Männern und Frauen in Kraft, ohne allerdings wesentliche Änderungen zu bewirken. Von einer wirklichen Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen sind wir heute, 38 Jahre nach der Einführung des Gleichstellungsartikels, immer noch weit entfernt. Parallel zum Fortbestehen der Lohndiskriminierung, der geschlechterspezifischen Arbeitsteilung und der Zuordnung von Frauen zur sozialen Reproduktionsarbeit, gehen Vergewaltigung und Gewalt nicht zurück und sexuelle Belästigungen sind nach wie vor eine Normalität, die Frauen in ihrem Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper empfindlich einschränkt.

Von einer wirklichen Gleichberechtigung von Männern* und Frauen* sind wir heute immer noch weit entfernt, was sich nicht nur an der Lohnungleichheit zeigt, sondern auch darin, dass Frauen* stärker von Altersarmut und vom Abbau des Sozialstaates betroffen sind.

Zudem geraten die bereits erkämpften Rechte zunehmend unter Beschuss durch hiesige neokonservative und reaktionäre Kreise. Bestes Beispiel ist das Recht auf Abtreibung, welches ständig infrage gestellt wird. Dabei bekommen die Abtreibungsgegner*innen Schützenhilfe vom Papst persönlich, der im Oktober 2018 Schwangerschaftsabbrüche mit Auftragsmorden gleichsetzte. Obwohl das Recht auf Abtreibung gesetzlich verankert ist, dürfen Ärzte in der Schweiz nach wie vor Abtreibungen verweigern. Dies führt dazu, dass es für Frauen* in gewissen Regionen unmöglich ist, dieses Recht wahrzunehmen – mitsamt allen persönlichen, psychologischen und finanziellen Konsequenzen.

Frauen*streik in der Schweiz am 14. Juni 2019

Dass Verfassungsartikel und Gesetze mitnichten der sozialen Realität entsprechen, wissen Frauen* in der Schweiz schon lange. Deshalb hatten bereits am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen unter der Parole «Wenn Frau will, steht alles still» gestreikt, um endlich die Umsetzung des zehn Jahre zuvor in Kraft getretenen Gleichstellungsartikels einzufordern.

Seither hat sich einiges geändert. Mittlerweile sind 80% der Frauen* erwerbstätig – die Mehrheit allerdings Teilzeit. Die oftmals unfreiwillige Teilzeitarbeit, sowie die weitverbreitete Arbeit auf Abruf zwingt Frauen* in prekäre Arbeitsverhältnisse. Dazu kommt, dass Frauen* meistens nicht in den gleichen Sektoren arbeiten wie Männer* und somit ganze Berufsfelder feminisiert und abgewertet werden. Diese geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist die wichtigste Ursache für die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

Auch 28 Jahre später scheint die gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen* also in weiter Ferne. Deshalb wird für den 14. Juni 2019 erneut zum Frauen*streik aufgerufen. Dabei gehen die Forderungen über die Gleichstellung auf dem Papier und eine bessere politische Vertretung hinaus: Frauen* fordern die Vergesellschaftung der Sorge- und Reproduktionsarbeit, das Ende der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, das Recht über den eigenen Körper zu bestimmen, die Bekämpfung von sexualisierter Gewalt, Schluss mit der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, und eine Gesellschaft ohne Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Diese Forderungen entstehen aus den konkreten Arbeits- und Lebensrealitäten der Frauen*. Deshalb werden diese Forderungen ständig ergänzt und ausgebaut.

Frauen- und Umweltfeinde in den Schweizer Alpen – Solidarität mit indigenen Frauen

Wie jedes Jahr versammelten sich Februar 2019 Sexisten und Frauen*feinde aller «Herren Länder» in Davos am World Economic Forum (WEF). Eingeladen ist auch der faschistische Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro. Letzterer erklärte anlässlich seiner Antrittsrede am 1. Januar 2019, er werde in seiner Amtszeit «die [weisse] Familie retten» und die «Gender-Ideologie bekämpfen». Erste Massnahmen hat er bereits getroffen. Per Dekret hat er die Kompetenz zur Definition des Territoriums von Indigenen der bisher zuständigen «Behörde für die indigenen Völker» entrissen und dem Landwirtschaftsministerium übertragen. Damit stärkt er nicht nur den Einfluss der mächtigen, korrupten und gewaltvollen Agrarlobby, sondern greift direkt die Rechte indigener Frauen* an und bedroht den Schutz des Amazonasgebietes, den grössten CO2-Speicher der Welt.

Diese unsozialen Massnahmen sind nur im Interesse einiger weniger und machen deutlich, dass es nichts hilft mit solch reaktionären Leuten zu reden oder gar zusammenzuarbeiten, wie es das WEF tut.

Für einen intersektionalen, internationalistischen und ökosozialistischen Feminismus!

Es ist unsere Aufgabe, die verschiedenen sozialen Bewegungen zusammenzubringen und die Forderungen nach einer feministischen, solidarischen und ökosozialistischen Gesellschaft miteinander zu verbinden. Die Frauen* in den USA und in vielen anderen Ländern haben es uns vorgemacht.

In den im Dezember 2018 plötzlich entstandenen Klimastreiks in der Schweiz, an denen sich spontan Tausende Schüler*innen in verschiedenen Städten angeschlossen haben, müssen auch feministische Forderungen präsent sein. Denn global betrachtet sind Frauen*, unter anderem als Versorgerinnen der Familien in Ländern des globalen Südens, speziell von der Klimakatastrophe betroffen. Der Women’s March und der Frauen*streik am 14. Juni 2019 bieten Gelegenheit diese Verbindung herzustellen.

Eine solidarische Welt ist nicht nur möglich, sondern dringend nötig.

Das wollen wir endlich ändern!

Es geht um sehr viel mehr als nur um Lohngleichheit: Es geht um eine radikale Umverteilung von Zeit, Geld und Macht im kapitalistischen Wirtschaftssystem und es geht um einen Wandel im Wertesystem. Wir wollen eine Aufwertung der Sorgearbeit und der unbezahlten und unsichtbaren Hausarbeit. Wir wollen, dass Berufe, in denen vor allem Frauen* arbeiten, die Anerkennung und Bezahlung erhalten, die sie verdienen. Wir fordern, dass Sorge- und Hausarbeit zwischen den Geschlechtern gleichberechtigt aufgeteilt werden und allgemein jeder mehr Zeit für diese wertvolle Arbeit hat. Dafür braucht es eine radikale Arbeitszeitverkürzung, damit jeder mehr Zeit für die Sorge- und Hausarbeit hat. Ein wichtiger erster Schritt für eine Vergesellschaftung der Sorge- und Hausarbeit wäre eine gratis Betreuung für Kinder, kranke und ältere Menschen, damit nicht mehr wir Frauen* diese Arbeiten allein verrichten müssen.

Uns Frauen* wird von klein auf eingeimpft, geduldig, unauffällig und genügsam zu sein. Wenn wir uns auflehnen und im privaten Familienkreis, auf Arbeit oder im öffentlichen Raum unsere Rechte einfordern, wird uns vorgeworfen, unweiblich, unbescheiden, oder „Emanzen“ zu sein. Mit Geduld werden wir die bestehenden ungleichen Verhältnisse nicht beseitigen, das hat sich die letzten Jahrhunderte gezeigt.

Wenn Frau* will, steht alles still

Wir stehen mit unseren Forderungen nicht alleine da! Wir sind nicht machtlos, weil wir viele sind. Und weil wir viele sind, können wir diese Probleme angehen! Wir haben die Macht: Wenn wir Nein sagen, bleibt die Wirtschaft stehen, funktioniert die Gesellschaft nicht mehr, überwinden wir die Ausbeutung des Kapitalismus. Diese Macht können und müssen wir nutzen, wenn wir die Gesellschaft nach unseren Vorstellungen gestalten wollen. Ein Streik ist das Mittel dazu. Ein Streik der Hausarbeit, der Sorgearbeit und der Lohnarbeit zeigt der Welt, was wir alles den ganzen Tag machen und nicht gesehen wird. Machen wir unsere Arbeit sichtbar und brechen wir mit den unterdrückenden Machtverhältnissen, indem wir zeigen, was passiert, wenn wir uns verweigern.

Was ist mit einem Streik gemeint?

Von tatsächlichen Arbeitsniederlegungen im Betrieb, über den Streik der Sorge- und Hausarbeit bis hin zu zahlreichen kreativen, symbolischen Formen des Streiks war am ersten Frauenstreik in der Schweiz am 14. Juni 1991 alles vertreten. An diesem Tag gingen 500’000 Frauen auf die Strasse. Das war der grösste Streik in der Schweizer Geschichte. Die Stimmung war ausgelassen, lustvoll und fröhlich. In der gesamten Schweiz gab es verschiedene Formen des Streiks, um ein Zeichen gegen die Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt zu setzen.

Dabei wurde der traditionelle Arbeitsbegriff auf alle Tätigkeitsbereiche von Frauen* – ob bezahlt oder unbezahlt, ob zu Hause oder am ausserhäuslichen Arbeitsplatz – ausgeweitet. Parallel dazu weitete sich auch der Streikbegriff aus: Frauen* streikten nicht mehr nur als Lohnabhängige, sondern auch als Konsumentinnen, sie streikten in ihrer Funktion als Hausfrauen, Mütter oder Sorgende um ältere und kranke Menschen.

Der Frauenstreik versteht sich gleichzeitig als politischen Protest gegen die überholte geschlechterspezifische Arbeitsteilung, als Mittel der landesweiten Mobilisierung von Frauen und als Instrument der Durchsetzung einer Umverteilung von Zeit und Geld im kapitalistischen Wirtschaftssystem.

Arbeitsniederlegung – geht das?

In einigen Betrieben wurde am 14. Juni 1991 den ganzen Tag über von Frauen* die Arbeit niedergelegt. Praktisch die gesamte Belegschaft der Rhodanus Microtechnic AG in Naters (Wallis) nutzte 1991 den Frauenstreiktag, um auf die schlechte Lohnsituation aufmerksam zu machen. Bruttolöhne zwischen 1300 und 1800 Franken waren die Regel. Rund 70 Frauen legten deshalb am 14. Juni 1991 die Arbeit nieder und gingen auf die Strasse.

In der Züricher Werbeagentur ASGS streikten ebenfalls Frauen. Susi Knecht, Buchhalterin und Rädelsführerin des Frauenstreiks in der Werbeagentur, verfasste einen Aufruf zur ganztätigen Arbeitsniederlegung und motivierte Kolleginnen im gesamten Zürcher Werbeumfeld Aktionen anzukurbeln. Neben einem Streikhappening für alle Frauen wurde ein Tagesprogramm mit dem Schwerpunktthema „Sexismus in der Werbung“ organisiert. Damit führten die Frauen* ihren Kollegen vor Augen, wie deren Werbespots die Unterdrückung von Frauen* rechtfertigen.

Kreative Formen des Streiks

Am 14. Juni 1991 haben Tausende von Frauen* nicht gekocht, nicht bedient, gingen nicht einkaufen und haben auch nicht aufgeräumt. Stattdessen haben sie die Haus- und Sorgearbeit bestreikt und dies mit aus dem Fenster hängenden Besen, Pfannen und Laken auch deutlich gezeigt. Sie blieben jedoch an diesem Tag nicht allein zu Hause, sondern haben sich kollektiv organisiert, Streiksuppen und Frauenmittagessen veranstaltet. Mit lila-pink-violetten Kleidern haben Frauen auf der Strasse, im Büro, zu Hause oder im Verkauf ihre Streikbereitschaft symbolisiert.

Mit diesen und weiteren zahlreichen Aktionen haben Frauen* am Streiktag auf kreative und lustvolle Weise auf die patriarchalen und diskriminierenden Verhältnisse im Alltag aufmerksam gemacht. Schülerinnen und Kolleginnen brachten Stühle, Rosen, Kaffee und Croissant in die Verkaufsläden, um den Verkäuferinnen zu einer Pause zu verhelfen. Es fanden Streikpicknicks auf den Hauptplätzen wie in Porrentruy statt und in diversen Städten wurden patriarchale Statuen umdekoriert. Im Zentrum von Zürich haben Frauen Strassenschilder nach bekannten weiblichen Persönlichkeiten umbenannt um anzuprangern, dass in der Innenstadt mehrheitlich männliche Namen auf den Strassenschildern stehen.

Repression!? – Wer hat hier das sagen?

Viele Frauen* hatten 1991 im Vorfeld Angst vor Repression und diverse Arbeitgeber haben mit Entlassungsdrohungen dazu tatkräftig beigetragen. Die Gewerkschaften hatten sich auf überbordende Anfragen um Rechtshilfe bei Entlassungen oder Lohnabzügen eingestellt. Letzten Endes umsonst, denn es gab nur sehr wenige Fälle, in denen neben leeren Worten tatsächlich etwas geschehen ist.

Fakt ist, dass 1991 der Grossteil der über 500’000 Frauen* keine Konsequenzen aufgrund des Streiks zu tragen hatten. Das ist eine wichtige Erfahrung für 2019. Die Tatsache, dass so viele Menschen für den Frauenstreik waren, die Tatsache, dass der Frauenstreik auch medial ein sehr grosses positives Echo erhielt, könnte ein wesentlicher Grund dafür gewesen sein, dass die angekündigte Repression am Arbeitsplatz ausblieb. Die gesellschaftliche Abstützung für den Frauenstreik war dermassen gross, dass Unternehmerinnen mit repressiven Massnahmen gegen streikende Frauen* ihren Ruf, ihr Ansehen und ihre Reputation massiv gefährdet hätten. Das soziale und politische Machtverhältnis war auf unserer Seite.

Unser grösster Schutz vor Repression sind wir. Wenn wir viele sind, die hinter dem Frauenstreik stehen und unsere Forderungen nach Veränderung auf die Strasse tragen, haben wir die gesellschaftliche Kraft, Veränderungen herbeizuführen. Das haben wir 1991 erreicht und das möchten wir auch wieder 2019 erreichen. Der Frauenstreik ist erst der Anfang einer grossen feministischen Bewegung in der Schweiz. Damit unsere Forderungen wirtschaftlich und politisch umgesetzt werden, braucht es mehr als einen Tag symbolischen Streiks. Doch der Frauen*streik am 14. Juni 2019 ist ein wichtiger Anfang für eine breite politische Bewegung von unten!

Wenn Frauen* wollen, kommt alles ins Rollen!

www.frauenstreikzuerich.ch
www.14juni.ch
sozialismus.ch/frauenstreik

 

Artikel als PDF Runterladen

 


 

For English please refer to: www.wilpf.org or use the contact form

 


 

Flyer / Programm
ZÜRICH FÜR DEN FRIEDEN
100 JAHRE FRAUEN- FRIEDENSKONFERENZ (PDF)

 


 

 


 

WILPF Schweiz
Horensteinstrasse 31
8046 Zürich
info@wilpfschweiz.ch

Bankverbindung:
Postcheckkonto-Nr. 87-696848-6
IBAN CH50 0900 0000 8769 6848 6